Milch

Die Empfehlungen zum Konsum von Milchprodukten wurden erstellt, um eine ausreichende Aufnahme von Kalzium sicherzustellen und das Risiko von Knochenbrüchen zu senken. Tatsächlich ist ein erhöhter Konsum von Milchprodukten nicht durch eine nachgewiesene positive Wirkung gerechtfertigt und könnte sogar negative Folge haben.

 

Am 13. Februar 2020 ist im New England Journal of Medicine (Willett & Ludwig, 2020) eine Studie veröffentlicht worden, welche eine gute Zusammenfassung der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Kuhmilchprodukten und der Gesundheit liefert.

Der Nachweis von gesundheitlichen Folgen von Milch und Milchprodukten ist abhängig von den Lebensmitteln, mit denen man sie vergleicht. Bemerkenswert ist die Symbolik einer Studie, durchgeführt in 100’000 Teilnehmern, welche den Zusammenhang zwischen der Sterblichkeit und der Proteinquelle der Lebensmittel aufzeigt: tatsächlich sind Milchproteine besser als Proteine aus verarbeiteten Fleischprodukten und Eiern, gleich gut wie Proteine aus unverarbeitetem Fleisch, Geflügel und Fisch, jedoch schlechter als pflanzliche Proteine (Song et al., 2016).

Der optimale Milchkonsum ist von der Nahrungssituation abhängig. In Regionen, in denen die Qualität der Ernährung beeinträchtigt und die Energiezufuhr unzureichend ist, spielt die Milch dank ihrer komplexen Zusammensetzung und ernährungsphysiologischer Vollständigkeit eine wichtige Rolle; in Regionen, in denen die Ernährung abwechslungsreich und die Energiezufuhr genügend ist, könnte der Milchkonsum das Risiko von Knochenbrüchen und Krebs im Alter erhöhen (ERFC, 2012 ; WCRF, 2007 ; Hemenway et al., 1994).

Entgegen der jahrzehntelangen Annahme gibt es keine Hinweise darauf, dass der Verzehr von Milchprodukten vor dem Risiko von Brüchen schützt, sondern diese sogar begünstigen könnte (Hegsted et al., 2001).

Die Milchaufnahme während des Wachstums erhöht die Statur im Erwachsenenalter (de Beer, 2012; Berkey et al., 2009; Olsen, 2007), die Statur steht in umgekehrter Beziehung zum kardiovaskulären Risiko, ein Vorteil, aber direkt mit dem Risiko von Hüftfrakturen, Lungenembolie und Krebs verbunden, zweifellos ein Nachteil (ERFC, 2012; WCRF, 2007; Hemenway, 1994).

Es gibt also Hinweise dafür, dass der Verzehr von Milchprodukten mit dem Krebsrisiko in Verbindung steht. Dies ist sicher erwiesen für Prostatakrebs (Aune et al., 2015) und wahrscheinlich für Gebärmutterschleimhautkrebs (Ganmaa et al., 2012) und Brustkrebs (Fraser et al., 2020). Der Konsum von Milchprodukten schützt aber ebenso vor Darmkrebs, möglicherweise durch die positiven Eigenschaften von Joghurt, welche die Mikroflora im Darm beeinflussen (Aune et al., 2012).

Allergien und Unverträglichkeiten von Milchprodukten sind ein von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter weit verbreitetes Problem und führen zu einem Rückgang des weltweiten Milchkonsums. Der Verzicht auf Milch kann die Schwere von vererbten allergischen Syndromen mildern (von Berg et al., 2013), aber auch gastrointestinale Symptome bei Kindern (Iacono et al., 1998) und Asthmaanfälle bei Erwachsenen (Pelikan et al., 2013), welche Laktose intolerant sind, verringern.

In Bezug auf die Gewichtskontrolle, das Risiko von Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen gibt es keine Hinweise darauf, dass Milchprodukte positive oder negative Auswirkungen haben. Ausserdem gibt es, obwohl uns die Logik verleitet, das Gegenteil zu glauben, keine Hinweise darauf, dass der Konsum von fettreduzierter Milch gegenüber Vollmilch Vorteile bringt.

Die Milchproduktion wirft viele Bedenken auf. Als Protein- und Kalziumquelle für die Menschheit, scheint Milch auf lange Zeit nicht nachhaltig zu sein, wenn man bedenkt, dass die pro Proteineinheit freigesetzten Treibhausgase bei Milch 5- bis 10-mal höher sind als bei Hülsenfrüchten (Gonzales et al., 2011). Ausserdem enthält Milch aufgrund der Produktionsbedürfnisse Substanzen (IGF-1, Sexualhormone, Antibiotika, Pestizide), welche sich negativ auf die menschliche Gesundheit auswirken könnten, jedoch noch nicht untersucht wurden. In der Schweiz werden alle 4 Jahre Kontrollen der Schweizer Kuhmilch durchgeführt, und die Resultate von 2018 zeigen, dass nur 231 der 426'314 Proben die Sicherheitslimiten für hemmende Substanzen nicht überschritten (BLV. 2019). Diese Analyse schliesst den Gehalt an Sexualhormonen nicht ein.

Die Autoren des Artikels (Willett et al., 2020) kommen zu dem Schluss, dass in wohlhabenden Ländern wie der Schweiz die aktuellen Richtlinien aktualisiert werden sollten, indem eine neue Anzahl täglicher Portionen (zum Beispiel 0-2 anstatt wie bisher 3 (SGE-SNN, 2016)) festgelegt wird, wobei sie anmerken, dass es nicht richtig ist, dass entrahmte Milch besser als Vollmilch ist, und dass die Zugabe von Zucker zu Milchprodukten (zum Beispiel Fruchtjoghurts) bekämpft werden sollte.

Mauro Frigeri MD & VMMT team 

 

Referenzen:

Aune D et al. Dairy products, calcium, and prostate cancer risk: a systematic review and meta-analysis of cohort studies. Am J Clin Nutr 2015.

Aune D, Lau R, Chan DS, et al. Dairy products and colorectal cancer risk: a systematic review and meta-analysis of cohort studies. Ann Oncol, 2012.

Berkey CS, Colditz GA, Rockett HR, Frazier AL, Willett WC. Dairy consumption and female height growth: prospective cohort study. Cancer Epidemiol Bio- markers Prev, 2009.

de Beer H. Dairy products and physical stature: a systematic review and meta- analysis of controlled trials. Econ Hum Biol, 2012.

ERFC. Adult height and the risk of cause-specific death and vascular morbidity in 1 million people: individual participant meta-analysis. Int J Epidemiol, 2012.

Fraser E et al. Dairy, soy, and risk of breast cancer: those confounded milks. Int J Epid, 2020.

Ganmaa D et al. Milk, dairy intake and risk of endometrial cancer: a 26-year follow-up. Int J Cancer, 2012.

Gonzales A et al. Protein efficiency per unit energy and per unit greenhouse gas emissions: Potential contribution of diet choices to climate change mitigation. Food Policy, 2011.

Hegsted DM. Fractures, calcium, and the modern diet. Am J Clin Nutr, 2001.

Hemenway D et al. Risk factors for hip fracture in US men aged 40 through 75 years. Am J Public Health, 1994.

Iacono G et al. Intolerance of cow’s milk and chronic constipation in children. N Engl J Med, 1998.

Olsen SF, Halldorsson TI, Willett WC, et al. Milk consumption during pregnancy is associated with increased infant size at birth: prospective cohort study. Am J Clin Nutr, 2007.

Pelikan Z. Asthmatic response to milk ingestion challenge in adults: a comparison of the open and double-blind challenges. Int Arch Allergy Immunol, 2013.

SGE-SNN, Schweizer Lebensmittelpyramide, 2016 (http://www.sge-ssn.ch/media/sge_pyramid_long_D_20161.pdf)

Song M et al. Association of Animal and Plant Protein Intake With All-Cause and Cause-Specific Mortality. JAMA Internal Medicine, 2016.

FOSSV, Milchkontrolle, 2019 (https://www.blv.admin.ch/blv/it/home/lebensmittel-und-ernaehrung/lebensmittelsicherheit/verantwortlichkeiten/milchpruefung.html)

Von Berg A et al. Allergies in high-risk schoolchildren after early intervention with cow’s milk protein hydrolysates: 10-year results from the German Infant Nutritional Intervention (GINI) study. J Allergy Clin Immunol, 2013.

WCRF, AICR. Second expert report: food, nutrition, physical activity, and the prevention of cancer: a global perspective. Washington, DC: AICR, 2007.

Willett WC, Ludwig DS. Milk and health. N Engl J Med, 2020.

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