Kaffee

In den letzten Jahren haben wir oft gehört, dass Kaffee den Vorteil habe, das Leben bei guter Gesundheit zu verlängern (Marrone, 2019), und die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen zu diesem Thema hat sich im letzten Jahrzehnt verdoppelt (Pubmed 2020). Doch welche Belege gibt es dafür, dass Kaffeekonsum zu einem längeren, gesünderen Leben führt?

 

Kaffee ist das weitverbreitetste Getränk der Welt, welches pharmakologisch aktive Substanzen enthält. Neben Koffein enthält er 1000 andere Substanzen (Jeszka-Skowron et al., 2015), darunter Polyphenole, Diterpene und Melanoidine. Darunter gibt es viele Antioxidantien, von diesen hat sich Kaffee als eine der wichtigsten Nährstoffquellen erwiesen (Svilaas et al., 2004), und sie scheinen mit einer Abnahme der Entzündungindikatoren in Verbindung zu stehen (Hang et al., 2019). Es wäre daher verlockend, zu schliessen, dass Kaffee gut für die Gesundheit ist, da er potenziell nützliche Substanzen enthält. Aber ist das wahr? Obwohl die Bilanz in diese Richtung zu weisen scheint, bestehen noch wissenschaftlich begründete Zweifel an der Existenz «angeblich» positiver Effekte (James, 2018).

Zurzeit gibt es wissenschaftliche Hinweise darauf, dass der Kaffeekonsum (auch entkoffeinierter) wahrscheinlich in Zusammenhang mit verminderter Sterblichkeit aller Ursachen steht (Freedman et al., 2012; Crippa et al., 2014; Grosso et al., 2017; Poole et al., 2017; Gunter et al., 2017; Park et al., 2017; Loftfield et al., 2018). Ein «wahrscheinlicher» Zusammenhang? Wieso ist die Wissenschaft nicht imstande, dies zu bestätigen? Die Mehrheit der Informationen, welche uns zur Verfügung stehen, basieren auf Beobachtungsstudien, bei denen die Informationen über Kaffeekonsum in Zusammenhang mit Krankheiten und Todesursachen stehen. Beobachtungsstudien haben viele Einschränkungen. Das erste Beispiel einer Einschränkung: die Vernachlässigung oder ungenügende Berücksichtigung sogenannter Störfaktoren (James, 2018) – wer sagt uns, dass ein möglicher positiver Effekt von Kaffeekonsum nicht von der Milch des Cappuccinos herrührt? Oder dass ein potenzieller negativer Effekt nicht vom gleichzeitigen Rauchen stammt? Ein weiteres Beispiel ist der Fehler, welcher durch die umgekehrte Ursache beeinflusst wird (Zhou et Hyppönen, 2018): wer sagt mir, dass es nicht die Tatsache ist, gesund zu sein, welche mich dazu verleitet, Kaffee zu trinken? Der letzte Punkt wird bekräftigt durch eine Studie, welche ergeben hat, dass, sobald sich das Mass an gesundheitlichen Problemen steigert, der Kaffeekonsum reduziert wird (Soroko et al., 1996).

Um zuverlässigere Informationen zu liefern, bräuchte die Wissenschaft randomisierte Kontrollgruppenstudien, welche mehrere methodischen Probleme der Beobachtunggstudien lösen können. Es gibt viele randomisierte Kontrollgruppenstudien über Kaffee und die Gesundheit, aber diese behandeln sehr spezifische Themen (Blutdruck (Steffen et al., 2012), Lipidprofil (Cai et al., 2012), Schwangerschaft (Jahanfar et Jaafar, 2015)) und sind nur über einen kurzen Zeitraum. Um Schlussfolgerungen über Sterblichkeit, das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Demenz zu ziehen, liegen uns nur Beobachtungsstudien vor.

Wir haben das Glück, über zahlreiche Beobachtungsstudien mit vielen Teilnehmern (bis zu mehreren hunderttausend) zu verfügen, von welchen viele gut genug konzipiert sind, um die sie kennzeichnenden methodischen Probleme zumindest teilweise auszuschliessen. Diese wichtige Datensammlung gibt uns Hinweise darauf, dass der Kaffeekonsum «sehr wahrscheinlich» mit einer Verminderung der Sterblichkeit aller Ursachen und der Senkung des Risikos von z.B. Typ-II-Diabetes (Jiang et al., 2014), Leberkrebs (Baie et al., 2016) und Parkinson (Qi et Li, 2014), verbunden ist. Im Allgemeinen zeigen diese Studien im Vergleich zum Nichtkonsum eine Reduktion des Risikos von ungefähr 5 bis 15% (Grosso et al., 2017; Poole et al., 2017).

Aber wie viel Kaffee soll man trinken? In einigen Studien ist der positive Effekt von Kaffee mit der konsumierten Menge linear verbunden, in dem Sinne, dass je mehr man trinkt, desto besser, bis zu mehr als 8 Tassen pro Tag (Gunter et al., 2017; Park et al., 2017; Loftfield et al., 2018)! In anderen wurde beobachtet, dass ungefähr 4 Tassen pro Tag ausreichten um den wichtigsten Effekt zu erzielen (Ding et al., 2014; Crippa et al., 2014). Die Zweifel an einem linearen Zusammenhang zwischen Kaffeekonsum und seinen Vorteilen werden durch eine kürzlich erschienene Studie gestützt, die zeigt, dass der Konsum von mehr als 8 Tassen pro Tag möglicherweise das Risiko der kardiovaskulären Sterblichkeit erhöht (Zhou et al., 2019). In der Schweiz steigt der Kaffeekonsum und liegt circa bei 10.2 kg pro Person pro Jahr (BLV, 2012), was etwa 3 Tassen am Tag entspricht, wenn man davon ausgeht, dass eine Tasse 9 g Kaffee enthält.

Insgesamt ist Kaffee sicher, hat wenig Nebenwirkungen, hat möglicherweise einen starken positiven Effekt und, in einigen kürzlich erschienen wissenschaftlichen Publikationen wurde sogar vorgeschlagen, ihn als Bestandteil einer gesunden Ernährung, mit 400 mg Koffein pro Tag, einzuführen, was etwa 3 bis 5 Tassen entsprich (Guallar et al., 2017). In der Schweizerischen Lebensmittelpyramide ist Kaffee im untersten Segment gezeigt – es wird keine spezifische Menge empfohlen und es wird präzisiert, dass «koffeinhaltige Getränke (…) auch zur Flüssigkeitsaufnahme beitragen können» (Sge-Ssn. 2016).

Mauro Frigeri MD & VMMT team 

 

Referenzen:

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Cai L et al. The effect of coffee consumption on serum lipids: a meta-analysis of randomized controlled trials. European Journal of Clinical Nutrition, 2012.

Crippa A et al. Coffee consomption and mortality from all causes, cardiovascular disease, and cancer: a dose-response meta-analysis. American Journal of Epidemiology, 2014.

Ding M et al. Long-term coffee consumption and risk of cardiovascular disease: a systematic review and a dose-response meta-analysis of prospective cohort studies. Circulation, 2014.

Freedman ND et al. Association of coffee drinking with total cause-specific mortality. New England Journal of Medicine, 2012.

Grosso G et al. Coffee, caffeine, and health outocmes: an umbrella review. Annual Review of Nutrition, 2017.

Guallar E et al. Moderate Coffee Intake Can Be Part of a Healthy Diet. Annals of Internal Medicine, 2017.

Gunter MJ et al. Coffee drinking and mortality in 10 european countries: a multinational cohort study. Annals of Internal Medicine, 2017.

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Jahanfar S, Jaafar SH. Effects of restricted caffeine intake by mother on fetal, neonatal and pregnancy outcomes. Cochrane Database of Systematic Reviews, 2015.

James JE. Are coffee's alleged health protective effects real or artifact? The enduring disjunction between relevant experimental and observational evidence. Journal of Psychopharmacology, 2018.

Jeszka-Skowron M et al. Analytical methods applied for the characterization and the determination of bioactive compounds in coffee. European Food Research and Technology, 2014.

Jiang X et al. Coffee and caffeine intake and incidence of type 2 diabetes mellitus: a meta-analysis of prospective studies. European Journal of Nutrition, 2014.

Loftfield E et al. Association of coffee drinking with mortality by genetic variation in caffeine metabolism: findings from the UK Biobank. JAMA Internal Medicine, 2018.

Marrone C. Cinquanta abitudini che ti possono aiutare a vivere più a lungo (secondo la scienza). Corriere della sera, 2019. https://www.corriere.it/salute/sportello_cancro/cards/cinquanta-abitudini-che-ti-possono-aiutare-vivere-piu-lungo-secondo-scienza/bevi-caffe.shtml

Poole R et al. Coffee consomption and health: imbrella review of meta-analyses of multiple health outcomes. British Medical Journal, 2017.

Park S et al. Association of coffee consumption with total and cause-specific mortality among nonwithe populations. Annals of Internal Medicine, 2017.

Pubmed, timeline digiting “coffee AND health”, avril 2020.

Qi H, Li S. Dose-response meta-analysis on coffee, tea and caffeine consumption with risk of Parkinson's disease. Geriatrics Gerontology International, 2014.

Sge-Ssn. Piramide alimentare svizzera, 2016. http://www.sge-ssn.ch/media/sge_pyramid_long_I_2016.pdf

Soroko S et al. Reasons for changing caffeintated coffee consomption: the Rancho Bernardo Study. Journal of American College of Nutrition, 1996.

Steffen M et al. The effect of coffee consumption on blood pressure and the development of hypertension: a systematic review and meta-analysis. Journal of Hypertension, 2012.

Stroffolini T et al. Interaction of alcohol intake and cofactors on the risk of cirrhosis. Liver International, 2010.

Svilaas et al. Intakes of antioxidants in coffee, wine, and vegetables are correlated with plasma carotenoids in humans. Journal of Nutrition, 2004.

FOSSV, 6. Ernährungsbericht, 2012. https://www.blv.admin.ch/blv/it/home/lebensmittel-und-ernaehrung/publikationen-und-forschung/statistik-und-berichte-ernaehrung.html

Zhou A, Hyppönen E. The alleged health-protective effects of coffee. JAMA Internal Medicine, 2018.

Zhou A, Hyppönen E. Long-term coffee consumption, caffeine metabolism genetics, and risk of cardiovascular disease: a prospective analysis of up to 347,077 individuals and 8368 cases. American Journal of Clinical Nutrition, 2019.

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